Freitag, 22. Februar 2019

Der Wohnheimschock

"Wyjebane - it means: You don't care and laugh from your situation."
Das wurde mir von der Schülerin geschrieben, die mich im Bus nach Nysa rettete. Worum es ging? Über den Schock den ich zu verkraften hatte, nachdem ich das Wohnheim betrat. Von außen... nicht mal hui, von innen noch mehr pfui. Für jemanden der seit Jahren seine eigene Wohnung besetzt hält ein absolutes Novum.
Dabei war ich Wohnheime gewohnt: Während meiner Berufschulzeit verbrachte ich zwei Mal neun Woche im Internat auf dem mediacampus in Frankfurt am Main. Das hat mich damals schon umgehau'n, aber Nysa - das setzte dem ganzen die Krone auf.


Nope, nope und .... nope!


Oder noch viel schlimmer.
Zugegeben - am ersten Abend war ich müde und abgekämpft. Mein Glück war, dass meine Mitbewohnerin Nummer eins das Wochenende auswärtig verbrachte, ich hatte das Zimmer - wenn man es denn so nennen möchte - für mich allen.

Zunächt fiel mir auf, dass in diesem Raum nur zwei Tische vorhanden waren und einer davor war voller Zeug: Kleidung, Make-Up, Tassen und so weiter. Also entsprechend kein Ort zum Arbeiten. Stühle waren dort nur zwei - nunmehr nur noch einer, denn der zweite zog vor Tagen in die Küche um.
Vollkommen geknickt und mit den Nerven am Ende ließ ich mich auf das untere Doppelstockbett plumpsen und promt ereilte mich die nächste Erkenntnis: Ich hatte es mit einem Brett in Kombination mit etwas matratzenartigem zu tun, dass nicht besser war, als würde ich auf dem Boden schlafen. Im Grunde wollte ich mein Hab und Gut nehmen und einfach den Weg zurück antreten. Aber ich blieb mehr oder minder tapfer, ging in - immerhin - das zimmereigene Bad und wollte mich unter der Dusche beruhigen. Das ging soweit gut, bis ich den Schimmel entdeckte. Fantastisch!

Der Morgen danach


Schlussendlich fiel ich müde und geschafft in das Bettprovisorium und schlief die Nacht durch.
Als ich am nächsten Morgen die Augen öffnete, sah alles schon ganz anders aus. Okay - ich möchte hier ungern die nächsten vier Monate verbringen, aber für den Anfang wird es wahrscheinlich gehen. Im schlimmsten Fall wird es auch bis Juli reichen. Um so dankbarer bin ich für den Luxus, der mich zu Hause erwartet.
Das Wohnheim besitzt eine Gemeinschaftsküche für alle Studierenden im Haus - das ist auch zeitgleich der Gemeinschaftsraum. Ein richtiger Raum für gemeinsame Stunden fehlt allerdings - kein "Wohnzimmer" mit Couch und Sessel. Das finde ich sehr schade. Dafür ein Raum mit Sportgeräten - Laufen, Radfahren, Rudern. Alles Aktivitäten, die draußen mehr Spaß machen als im Wohnheim.


Dennoch: Besser als kein Raum, und immerhin ein Ort in welchem man sich eine warme Mahlzeit zubereiten kann (obwohl ich des Kochens nicht mächtig bin. Nichts, was man nicht lernen kann). Allerdings ist es tatsächlich besser, wenn man sich sein eigenes Geschirr zulegt. Die Messer hier sind nach jahrelangem Gebrauch stumpf und krumm, die Pfannen gedellt und Teller sowie Brettchen sind Mangelware.
Doch Nysa ist kein Dorf irgendwo im Nirgendwo (immerhin nur 20 Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt). Man kann hier durchaus einkaufen um sich das Leben etwas besser zu gestalten. Aber davon später mehr. Für heute reicht es, dass ich mich über das Wohnheim in bester deutsche Manier ausgelassen habe, denn wenn wir eins können, dann uns über alles beschweren. 

"So keep cool an wyjebane!"

Samstag, 16. Februar 2019

Auf bald, Saalestadt - Hallo, Stadt an der Neiße

Es ist halb zwei in der Früh, als der Wecker klingelt. Eigentlich möchte ich nicht aufstehen, eigentlich will ich doch zu Hause bleiben. In meiner gewohnten Umgebung, bei meiner Familie, mit der angenehmen Routine. Doch es hilft nichts, denn dieses Abenteuer habe ich mir selbst ausgewählt.

Alles begann schon 2017. Bei einer Radtour erzählte ich meiner Freundin, dass ich ein Auslandssemester plane. Nach Polen solle es gehen, in das schlesische Breslau (Wroclaw).

Nach eingehender Recherche habe ich meine Meinung geändert und mich, vornehmlich wegen der Größe Wroclaws, für Neiße (Nysa) entschieden, etwa 1,5 Stunden südlich von Wroclaw entfernt, in der Woiwodschaft Oppeln (Opole).

Im August schickte ich meine Bewerbung an meine Koordinatorin meiner Alma Mater und schon im September wurde ich vorgeschlagen. Ende Dezember kam die Zusage von der Hochschule und ich konnte mit den Vorbereitungen beginnen.
Um ein Visum musste ich mich als Bewohnerin der Europäischen Union nicht kümmern. Man kommt, man geht. Ganz einfach. 
Das Wohnheim wird vom International Office bereitgestellt. Dom Studenta (zum Schock und darüber hinaus später mehr). Das Wichtigste war als: Was packe ich ein? Was muss mit und auf was kann ich verzichten? Auf wie viel Luxus lege ich wert oder tut es auch das Nötigste? Schlussendlich habe ich mich tatsächlich auf die Variante "das Nötigste muss reichen" festgelegt. Also alle Kleidungsstücke raus, durchgesehen, anprobiert und wieder zurück, bis am Ende nur ein kleiner Haufen übrig blieb. Dazu kam dann noch das Equipment. Laufbekleidung und -schuhe, ein Reiseführer, ein Wörterbuch, ein Sprachführer. 

Warme Socken, wir haben immerhin Februar, Briefpapier, ein Roman für den Weg und was sich alles so ansammelt. Ein Reisetagebuch natürlich noch, neben diesem Blog, darf auch nicht fehlen. Am Ende wog "das Nötigste" dann 32 Kilogramm. Und mein Rechner war noch nicht mit einkalkuliert.

Da stand ich also, vor meinem riesigen Reiserucksack. Natürlich hätte ich auch einen Koffer nehmen können, den man ganz bequem hinter sich herziehen kann. Aber ich bin ein Rucksackmädchen. Und die reisen nun mal nicht mit dem Koffer. Zudem hatte mein Rucksack schon einiges mitgemacht. Auf eines missglückten Wanderschaft wurde er 2010 eingeweiht, im gleichen Jahr transportierte er meine Habseligkeiten sicher in meine Berufsschule nach Frankfurt am Main, und auch auf dem Weg nach Montana ließ er mich nicht im Stich - warum also jetzt umsteigen? Das Ungeheuer wurde also gepackt.

Nachdem ich von meinem Mann sicher zum Busbahnhof begleitet wurde, die Reise mit dem Bus ging schneller und - zunächst - unkomplizierter, hievte ich das Ding in die Gepäckablage und schon ging es Richtung Dresden. Eine Fahrt, die so aufregend war, dass ich sie komplett verschlafen habe.
In der Hauptstadt der Sachsen angekommen brauchte ich zunächst eines: Kaffee. Ohne Kaffee konnte ich die drei Stunden bis zur Weiterfahrt nicht überstehen.
Um neun Uhr saß ich im Bus nach Wroclaw und auf dieser Fahrt tat ich kein Auge zu. Mit Karacho über die Autobahn - so schnell fuhr der Fahrer, dass wir schon 13:00 am Busbahnhof ankamen, statt der geplanten 13:30. Und dann ging es los: Finde den Anschluss!

Das gestaltete sich schwerer, als ich dachte. Am Bahnhof angekommen - 13:15 - fuhr der Zug nach Nysa gerade fort. Der nächste käme um 15:40! Oh weh. Also zurück zum Busbahnhof. Hier fuhr auch ein Zug zum Ziel, allerdings 15:10. Aber da war doch noch etwas, dass ich im Internet gelesen hatte? 14:10 ein Bus von einer Haltestelle namens Dawida. "Okay Google, bring mich zur Haltestelle Dawida" - das tat Google auch, allerdings zum Stadtverkehr. Und so fuhr der Kleinbus nach Nysa an mir vorbei.
Frustriert, dass mich Google nun hintergangen hatte, wollte ich zurück zum Busbahnhof. Doch dann stand er da, besagter Minibus nach Nysa. Und tatsächlich erwischte ich den letzten freien Platz! Ich war gerettet.
Und wie der Zufall es so wollte, lernte ich auf der Fahrt eine ganze nette Schülerin kennen, die kurz vor ihrem Abitur steht. Sie übersetzte ganz selbstverständlich mein englisch Gesagtes ins Polnische und wieder zurück. Was für eine Begegnung. Und wäre das nicht genug, führte auch ihr Weg nach Nysa, wo sie von ihrer Mutter abgeholt wurde. Und dann kam das Sahnehäubchen meines Tages: Sie fuhren mich doch tatsächlich noch bis zum Wohnheim. Ohne mich zu kennen! Das nennen ich Gastfreundschaft.



Ich erreichte meine Unterkunft also um 16:00 - zwölf Stunden, nachdem ich in Halle losgefahren war.

Zu meinem Wohnheim gibt es viel zu sagen, allerdings werde ich davon in einem gesonderten Artikel darüber schreiben. Für heute schließe ich mit den Worten eines Freundes: "Kopf runter und durch" - mein Motto für das Dom Studenta.