Sonntag, 8. September 2019

Unterwegs im Harzvorland

Seit Juni bin ich wieder in der Heimat und schon wurde ich vom Alltag eingeholt, als sei ich nie weg gewesen. Schon nach wenigen Tagen hat sich mein Aufenthalt in Nysa wie ein Traum angefühlt, allerdings sagen mein Kalender und diese Website sowie meine neuen Freunde und Bekannten da etwas anderes. Dennoch, zu Hause haben mich schon diverse Aufgaben erwartet: Hausarbeiten für die Universität schreiben, Arztbesuche, Freunde und Familie treffen und natürlich auch die ehrenamtliche Arbeit bei der hastuzeit. Da wird es im Kopf schnell wieder voll, der Rücken verspannt sich und die Augen werden müde. Da hilft nur, den Rucksack zu packen und hinaus in die Natur zu wandern. Mit Zelt und Schlafsack ging es ab ins Harzvorland.

Neue alte Heimat


Ich bin keine gebürtige Harzerin, dennoch zieht es mich immer wieder in den Teil des Landes, der über zehn Jahre die Wahlheimat meiner Eltern war und nicht zuletzt deswegen, weil mein Mann dort geboren wurde und aufgewachsen ist. So verwundert es nicht, dass wir jedes Jahr ein paar Ausflüge machen, die Deutsche Bahn und das Sachsen-Anhalt-Ticket machen es möglich.
Doch schon viel länger bin ich mit dem märchenhaften Harz verbunden. Schon als Kind verbachten wir unzählige Familienurlaube im Oberharz, bis wir zur Jahrtausendwende von der Großstadt in den Wald zogen. Erst Jahre später ging es wieder zurück in die Stadt, doch das ist eine andere Geschichte.
Meine "neue alte Heimat" ist mir zumindest lieber als der Gestank, die Enge und die Lautstärke der Bundeshauptstadt, denn im Harz bekommt man alles, was man sich als rucksackfreudige Person wünscht: Waldgerüche, Weite und die Klänge der Natur. Für meine Familie und mich gibt es dort einen ganz speziellen, ein wenig auch spirituellen Ort im Vorharz bei der Stadt Blankenburg.


Blankenburg Heidekraut


Heidekraut und Sandsteinklippen


Vor ein paar Jahren - Jahrzehnten - war dieser Ort noch recht unbekannt. Heute finden sich dort unzählige in den Sandstein geritzte Liebesschwüre. Ob diese Liebe so lange Bestand haben wird, wie der Sandsteinfelsen selbst, wird ein Rätsel bleiben. Vor zwölf Jahren habe ich selbst Initialen eingeritzt, allerdings habe ich sie bei der Fülle nicht mehr finden können. Den Mann dazu gibt es allerdings noch.

Blankenburger Liebesschwüre


Wenn man Glück hat, dann trifft man dort oben keine Seele. Zwar reichen die Geräusche der Bundesstraße bis an diesen Ort, sehen kann man die Fahrzeuge sie zum Glück jedoch nicht mehr.
Ein wenig in den Wald hinein haben wir uns ein Plätzchen gesucht, wo wir unsere Nacht in der Natur verbringen wollten. Entspannen, ohne Netflix, Alexa, WhatsApp, Facebook und so weiter und so weiter... Mit dabei hatten wir: Zelt, Isomatten, Schlafsäcke, Hängematte, Campingkocher und Lebensmittel, im Besonderen natürlich auch Kaffee (den Teil Luxus, den ich mir nur schwer abgewöhnen kann).


Es bleiben nur Fußspuren zurück


Die Weite vertreibt die Gedanken. Ich fühle mich klein hier oben, fast schon unbedeutend und gleichzeitig so ungemein menschlich. Ich habe das Gefühl, dass ich hier oben seit langem wieder richtig atmen kann. Das hat weniger mit der Luftqualität meines Wohnortes zu tun, sondern damit, dass ich mich an diesem Platz ohne Lasten spüre, als wären sie am Fuße des Weges zurück geblieben.
Schon nach Sonnenuntergang lagen wir im Zelt, mit einem leichten Kribbeln im Bauch, denn man weiß nie, ob Herr Fuchs und Frau Elster nicht doch noch an die Zeltwand klopfen. Geschlafen haben wir jedoch so ruhig wie lange nicht. Die Luft, die angenehme Frische der ersten Herbstnächte, der leichte Regen auf dem Zeltdach, und obwohl ich kurz vor Sonnenaufgang wach wurde, fühlte ich mich ausgeruht und gestärkt.


Zelt


Den Sonnenaufgang, Kaffee, Speck, Käse und Brot - mehr braucht es am Morgen nicht. Nach dem Frühstück wurde alles wieder zusammengepackt, nichts bleibt im Wald, nichts außer unseren Fußspuren und unseren Erinnerungen.

Ob sich der Aufwand gelohnt hat? Auf jeden Fall. Eine Nacht im Wald, ein Tag am Meer, eine Wanderung durch die Heide: Raus in die Natur, das Gewicht des Rucksacks auf dem Rücken und sich mit der Welt verbunden fühlen: Das gibt Kraft für die nächsten Monate voller Arbeit, Hausarbeiten und ehrenamtlichen Tätigkeiten.

Zelt weg

Zelt weg

Freitag, 5. April 2019

Stadt der Zwerge

Wenn man in Nysa wohnt, kann es, trotz der wunderschönen Landschaft, doch recht langweilig werden. Spätestens nach zwei Monaten hat man als interessierte Studentin doch schon vieles, wenn auch nicht alles, gesehen. Doch es gibt einige Möglichkeiten, von der ober-schlesischen Stadt aus die Umgebung kennen zu lernen und heute führt uns der Weg nach Wrocław (dt. Breslau) - die Hauptstadt der Woiwodschaft Niederschlesien und die Stadt der Zwerge.

Von Nysa mit dem Bus durchs Oppelner Land


Eines vornweg: Will man oder frau mit dem Bus nach Wrocław, dauert es gerade einmal (überschlagen) eine Stunde und dreißig Minuten. So weit, so gut. Jetzt kommt aber das dicke aber: Es kann passieren, dass man in einer Gruppe mit dreizehn Personen die falsche Uhrzeit wählt und auf einmal von einem ohnehin schon überladenden Minibus steht (man denke an das Abenteuer der Anreise). Gut, wenn man weiß, wann der "große" Bus verkehrt: Nämlich um 07:40 (das ist bisher der einzige, bei dem ich mir sicher bin). Die Fahrt kostet für Studierende bis einschließlich 26 Jahren 12 Złoty. Für Studierende darüber ... auch. Es guckt einfach keiner genau. "Student" versteht eigentlich jeder und wenn man dazu noch mit dem Ausweis hin und her wackelt, sowieso. Ich glaube, außer zu meiner Anreise, habe ich hier noch nie den vollen Preis gezahlt (funktioniert auch im Zug). Hat man dann einen Sitzplatz bekommen, geht es recht zügig nach Wrocław.

Wo die wilden Zwerge wohnen


Wrocław ist eine wundervoll moderne Stadt. Wie fast jede polnische Metropole trägt auch sie einen Beinamen und wird das "Schlesischer Venedig" genannt. Hier fließt die Odra (dt. Oder) von West nach Ost, um einige hundert Kilometer später die Grenze zu passieren um eines Tages dann in die Ostsee zu fließen.
Bemerkenswert an Wrocław ist die barocke Altstadtarchitektur, umgeben von einigen sozialistischen Vorzeigebauten hin zu modernen Kaufhäusern. Auch fährt hier eine sehr moderne Tram in regelmäßigen Abständen (wenn man doch nur die polnischen Straßennamen kennen würde). Doch wie auch in Nysa ist hier "alles touristische" ist eigentlich alle zu Fuß zu erreichen. So befindet sich der Marktplatz gerade einmal zwanzig Minuten Fußmarsch entfernt.
Wenn man den Blick von den Fassaden auf den Boden richtet, erblickt man etwas merkwürdiges: Zwerge. Immer wieder tauchen die unterschiedlichen kleinen Bronzefiguren auf den Gehwegen und dem Marktplatz, an Schaufenstern und Laternen auf.






In der Touristeninformation gibt es sogar eine eigene Karte mit den Standorten aller Zwerge. Besucher, die Up-To-Date sind, können natürlich auch eine App herunter laden und die Zwerge digital fangen. Doch was hat es eigentlich mit den Gnomen auf sich?

Die Zwerge haben Arbeit, Spaß und Langweile.


Über 600 der kleinen Männer und Frauen gibt es schon in der Stadt. Und alle haben einen thematischen Bezug. So findet sich vor einem Hotel ein kleiner Page mit Gepäckwagen, vor einer Kneipe trägt ein Bärtiger mit spitzem Hut ein Fässchen Bier. Eine Zwergin ist als Touristin unterwegs und fotografiert ihrerseits einen noch kleineren Gnom. An der Universität wird gelesen, der nächste surft auf seinem Notebook im Netz.
Sie sind also auf dem neuesten Stand, Wrocławs kleine Bewohner.
Im Sommer 2001 tauchten die ersten Zwerge als Projekt der Kunsthochschule in der Stadt auf. 2004 wurden 12 weitere in Auftrag gegeben und 2009 waren es schon 95 in ganz Wrocław. Kein Zwerg gleicht dem anderen, denn jeder kleine Bewohner ist ein Unikat. Einen kann man sogar in Dresden finden, der als Träger beider Stadtwappen zum Jubiläum der Städtepartnerschaft Wrocław-Dresden an die sächsische Hauptstadt überreicht wurde.
Natürlich sind sie vor Allem ein touristischer Anziehungspunkt. Zwerge suchen und jagen ist fast wie Pokémon fangen. Dazu gibt es an jeder Ecke Postkarten, Schlüsselanhänger, Schneekugeln, und und und.







Die Stadt hat natürlich noch wesentlich mehr zu bieten. Auch hier finden sich unzählige Kirchen, eine Brücke voller Liebesschlösser, Cafés, Gaststätten, eine sehr große Universität, Kaufhäuser, Parks, ein Japanischer Garten, ein Zoo, die Jahrhunderthalle - die zu meinem Besuch leider geschlossen war - Theater, Oper: Einfach alles, was eine Großstadt mit 650.000 Einwohner auszeichnet. Zudem führt der EuroVelo-Radweg EV9 (Bernsteinroute) durch die Stadt und natürlich kann man auch an der Oder entlang wandern, radeln und spazieren.

Freitag, 29. März 2019

Ein Spaziergang durch das grüne Nysa

Wie die Saale durch Halle fließt, so schlängelt sich in Nysa (dt. Neisse) der Fluss: Nysa Kłodzka (dt. Glatzer Neisse). Auch der Geschichtsverlauf brachte die beiden Städte immer wieder zusammen, denn beide waren Teil des preußischen Staates. Neben Eichendorff wirkt sich auch die Partnerschaft beider Universitäten, der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und der PWSZ auf den kulturellen Austausch aus.

Vom Wohnheim an den Fluss




Ich habe das unerhörte Glück, das mein Zimmer - an das ich mich mittlerweile gewöhnt habe und weniger schlimm ist, als am ersten Tag - direkt zum Fluss hinaus geht. Jeden Morgen kann ich die Fischer beobachten, wie sie bei Wind und Wetter mit ihren Angeln am Fluss sitzen und sich den Tag vertreiben.
Die Bächlein von den Bergen springen,
Die Lerchen schwirren hoch vor Lust,
Was soll ich nicht mit ihnen singen
Aus voller Kehl und frischer Brust?
(Joseph Freiherr von Eichendorff)


Verlässt man das Wohnheim, dann geht man vielleicht eine Minute, bis man auf der Brücke steht, die den Fluss überquert. Schaut man nach Süden, so sieht man die Glatzer Berge. Richtung Norden erkennt man die weiten Felder, die sich Richtung Opole (dt. Oppeln) erstrecken.
Folgt man dem Lauf des Flusses, erreicht man nach etwa einem Kilometer eine weitere Brücke, welche die Glatzer Neisse anstaut. Dem Flussverlauf auf der anderen Seite einen weiteren Kilometer folgend erreicht man den Stausee Jezioro Nyskie.



Hier ist es im Sommer möglich, am Strand einen Badetag zu verbringen. Durch die Wellen und den weiten See fühlt man sich fast, als wäre man am Meer.

Die Parkanlagen um Fort Wodny


Kehrt man auf den Weg, welchen man kam, zurück, so kann man von der zweiten Brücke aus auf einen speziellen Wanderweg einbiegen. Als ehemalige preußische Festungsstadt hat Nysa einige gut erhaltene Bauwerke, die es zu besuchen gilt.
Zu dieser Jahreszeit sind die Bäume noch kahl und der Wind pfeift durch das Geäst. Der Park ist allerdings dennoch wunderschön. Geht man in der Frühe, singen die Vögel ihr Morgenkonzert. Am Tage kann man im Café des Forts Essen oder einen Kaffee genießen und abends mit einem Spaziergang den Tag ausklingen lassen.



Ein wenig mutet Fort Wodny an wie Hobbingen, der Stadt der kleinen Leute aus "Der Herr den Ringe". Das Wasserfort bietet heute Platz für Musik und Theater.



Überquert man die Straße, erreicht man den zweiten Teil des Stadtparks, der sich mit vielen Wegen romantisch träumend in die Stadt einfügt. Der Weg kann zum einen direkt in die Innenstadt führt, folgt man einem Pfad am Teich Staw Łabędzizurück zurück zur ehemaligen Berliner Brücke, welche zum Wohnheim führt.
Liegt das Wohnheim auch heute in Nysa, so war dieser Stadtteil einst die Soldatenstadt Friedrichsstadt - auch hier eine Ähnlichkeit mit Halle an der Saale. Denn auch Neustadt war einst eigenständig, getrennt durch die Elisabethbrücke von der Stadt Halle. Erst 1990 wurden Neustadt zum Stadtteil Halles, während Friedrichsstadt mit Nysa schon im 19. Jahrhundert vereint wurde.

Sonntag, 10. März 2019

Wszystkiego najlepszego z okazji urodzin!

Am 10. März 1788 wurde Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorf geboren, hier in Schlesien, genau genommen auf Pałac Eichendorffów in Łubowice (dt. Lubowitz).
Eichendorff gilt als bedeutendster Dichter der deutsche Spätromantik. Nun mag man sich fragen, warum ein polnischer Schriftsteller für die Romantik von Wichtigkeit war. Dazu muss man eine kleine Zeitreise in das Schlesien des 18. und 19. Jahrhunderts machen.

Preußische Tugenden


Nach dem ersten Schlesischen Krieg 1742 wurde die Provinz Teil des preußischen Königreiches unter Friedrich dem Großen. Auch im zweiten und dritten Schlesischen Krieg konnte der preußische Hof diese Gebiete halten. 1815 - Eichendorff war zu diesem Zeitpunkt schon 27 Jahre alt - wurde Schlesien Teil des Deutschen Bundes, dem Nachfolger des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nationen. 1871 wurde Schlesien offiziell Teil des deutschen Nationalstaates. Die Amtsprache war Deutsch, auch die Gesetze wurde entsprechend den preußischen übernommen.

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg 1945 wurde ein Großteil der deutschen Bevölkerung aus dem Gebiet vertrieben, Schlesien wurde wieder polnisch. Noch heute lebt ein großer Teil der deutschsprachigen Minderheit im Gebiet Opole (dt. Oppeln) und besitzt die doppelte Staatsbürgerschaft.

Joseph von Eichendorf


Der junge Dichter ist viel im heutigen Europa herumgekommen. Aufgewachsen in Schlesien studierte er seit 1805 in Wrocław und in Halle an der Saale, besuchte das Theater Bad Lauchstädts, reiste durch den Harz nach Hamburg und Lübeck, und ging 1806 - nach dem Einmarsch Napoleons - nach Heidelberg. Er studierte Rechtswissenschaften, 
Später führte er seine Arbeit in Danzig und Breslau weiter, ehe er 1844 in den Ruhestand ging. Seine letzen Lebensjahr verbrachte er in Nysa, wo er am 26. November 1857 im Alter von 67 Jahren verstarb.
Zu seinen bekanntesten Werken zählen "Aus dem Leben eines Taugenichts", "Das Mamorbild" und unzählige Gedichte, unter anderem "Wem Gott will rechte Gunst erweisen".


Alles Gute zum Geburtstag


In Halle als auch in Nysa und anderen Orten in Schlesien wird am 10. März der Geburtstag Eichendorffs begangen. So wird in Halle an der Eichendorffbank auf den Klausbergen ab 15:00 musikalisch dem Dichter geehrt, dazu gibt es Schlesichen Mohnkuchen.
Auch lyrisch hat der Romantiker seine Spuren in Halle hinterlassen. So steht die Burg über'm Tale noch Heute in Halle, die Giebichenstein, welche über der Saale thront:

Da steht eine Burg überm Tale
Und schaut in den Strom hinein,
Das ist die fröhliche Saale,
Das ist der Gibichenstein.

Da hab ich so oft gestanden,
Es blühten Täler und Höhn,
Und seitdem in allen Landen
Sah ich nimmer die Welt so schön!

Durchs Grün da Gesänge schallten,
Von Rossen, zu Lust und Streit,
Schauten viel schlanke Gestalten,
Gleichwie in der Ritterzeit.

Wir waren die fahrenden Ritter,
Eine Burg war noch jedes Haus,
Es schaute durchs Blumengitter
Manch schönes Fräulein heraus.

Das Fräulein ist alt geworden,
Und unter Philistern umher
Zerstreut ist der Ritterorden,
Kennt keiner den andern mehr.

Auf dem verfallenen Schlosse,
Wie der Burggeist, halb im Traum,
Steh ich jetzt ohne Genossen
Und kenne die Gegend kaum.

Und Lieder und Lust und Schmerzen,
Wie liegen sie nun so weit –
O Jugend, wie tut im Herzen
Mir deine Schönheit so leid.



Freitag, 22. Februar 2019

Der Wohnheimschock

"Wyjebane - it means: You don't care and laugh from your situation."
Das wurde mir von der Schülerin geschrieben, die mich im Bus nach Nysa rettete. Worum es ging? Über den Schock den ich zu verkraften hatte, nachdem ich das Wohnheim betrat. Von außen... nicht mal hui, von innen noch mehr pfui. Für jemanden der seit Jahren seine eigene Wohnung besetzt hält ein absolutes Novum.
Dabei war ich Wohnheime gewohnt: Während meiner Berufschulzeit verbrachte ich zwei Mal neun Woche im Internat auf dem mediacampus in Frankfurt am Main. Das hat mich damals schon umgehau'n, aber Nysa - das setzte dem ganzen die Krone auf.


Nope, nope und .... nope!


Oder noch viel schlimmer.
Zugegeben - am ersten Abend war ich müde und abgekämpft. Mein Glück war, dass meine Mitbewohnerin Nummer eins das Wochenende auswärtig verbrachte, ich hatte das Zimmer - wenn man es denn so nennen möchte - für mich allen.

Zunächt fiel mir auf, dass in diesem Raum nur zwei Tische vorhanden waren und einer davor war voller Zeug: Kleidung, Make-Up, Tassen und so weiter. Also entsprechend kein Ort zum Arbeiten. Stühle waren dort nur zwei - nunmehr nur noch einer, denn der zweite zog vor Tagen in die Küche um.
Vollkommen geknickt und mit den Nerven am Ende ließ ich mich auf das untere Doppelstockbett plumpsen und promt ereilte mich die nächste Erkenntnis: Ich hatte es mit einem Brett in Kombination mit etwas matratzenartigem zu tun, dass nicht besser war, als würde ich auf dem Boden schlafen. Im Grunde wollte ich mein Hab und Gut nehmen und einfach den Weg zurück antreten. Aber ich blieb mehr oder minder tapfer, ging in - immerhin - das zimmereigene Bad und wollte mich unter der Dusche beruhigen. Das ging soweit gut, bis ich den Schimmel entdeckte. Fantastisch!

Der Morgen danach


Schlussendlich fiel ich müde und geschafft in das Bettprovisorium und schlief die Nacht durch.
Als ich am nächsten Morgen die Augen öffnete, sah alles schon ganz anders aus. Okay - ich möchte hier ungern die nächsten vier Monate verbringen, aber für den Anfang wird es wahrscheinlich gehen. Im schlimmsten Fall wird es auch bis Juli reichen. Um so dankbarer bin ich für den Luxus, der mich zu Hause erwartet.
Das Wohnheim besitzt eine Gemeinschaftsküche für alle Studierenden im Haus - das ist auch zeitgleich der Gemeinschaftsraum. Ein richtiger Raum für gemeinsame Stunden fehlt allerdings - kein "Wohnzimmer" mit Couch und Sessel. Das finde ich sehr schade. Dafür ein Raum mit Sportgeräten - Laufen, Radfahren, Rudern. Alles Aktivitäten, die draußen mehr Spaß machen als im Wohnheim.


Dennoch: Besser als kein Raum, und immerhin ein Ort in welchem man sich eine warme Mahlzeit zubereiten kann (obwohl ich des Kochens nicht mächtig bin. Nichts, was man nicht lernen kann). Allerdings ist es tatsächlich besser, wenn man sich sein eigenes Geschirr zulegt. Die Messer hier sind nach jahrelangem Gebrauch stumpf und krumm, die Pfannen gedellt und Teller sowie Brettchen sind Mangelware.
Doch Nysa ist kein Dorf irgendwo im Nirgendwo (immerhin nur 20 Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt). Man kann hier durchaus einkaufen um sich das Leben etwas besser zu gestalten. Aber davon später mehr. Für heute reicht es, dass ich mich über das Wohnheim in bester deutsche Manier ausgelassen habe, denn wenn wir eins können, dann uns über alles beschweren. 

"So keep cool an wyjebane!"

Samstag, 16. Februar 2019

Auf bald, Saalestadt - Hallo, Stadt an der Neiße

Es ist halb zwei in der Früh, als der Wecker klingelt. Eigentlich möchte ich nicht aufstehen, eigentlich will ich doch zu Hause bleiben. In meiner gewohnten Umgebung, bei meiner Familie, mit der angenehmen Routine. Doch es hilft nichts, denn dieses Abenteuer habe ich mir selbst ausgewählt.

Alles begann schon 2017. Bei einer Radtour erzählte ich meiner Freundin, dass ich ein Auslandssemester plane. Nach Polen solle es gehen, in das schlesische Breslau (Wroclaw).

Nach eingehender Recherche habe ich meine Meinung geändert und mich, vornehmlich wegen der Größe Wroclaws, für Neiße (Nysa) entschieden, etwa 1,5 Stunden südlich von Wroclaw entfernt, in der Woiwodschaft Oppeln (Opole).

Im August schickte ich meine Bewerbung an meine Koordinatorin meiner Alma Mater und schon im September wurde ich vorgeschlagen. Ende Dezember kam die Zusage von der Hochschule und ich konnte mit den Vorbereitungen beginnen.
Um ein Visum musste ich mich als Bewohnerin der Europäischen Union nicht kümmern. Man kommt, man geht. Ganz einfach. 
Das Wohnheim wird vom International Office bereitgestellt. Dom Studenta (zum Schock und darüber hinaus später mehr). Das Wichtigste war als: Was packe ich ein? Was muss mit und auf was kann ich verzichten? Auf wie viel Luxus lege ich wert oder tut es auch das Nötigste? Schlussendlich habe ich mich tatsächlich auf die Variante "das Nötigste muss reichen" festgelegt. Also alle Kleidungsstücke raus, durchgesehen, anprobiert und wieder zurück, bis am Ende nur ein kleiner Haufen übrig blieb. Dazu kam dann noch das Equipment. Laufbekleidung und -schuhe, ein Reiseführer, ein Wörterbuch, ein Sprachführer. 

Warme Socken, wir haben immerhin Februar, Briefpapier, ein Roman für den Weg und was sich alles so ansammelt. Ein Reisetagebuch natürlich noch, neben diesem Blog, darf auch nicht fehlen. Am Ende wog "das Nötigste" dann 32 Kilogramm. Und mein Rechner war noch nicht mit einkalkuliert.

Da stand ich also, vor meinem riesigen Reiserucksack. Natürlich hätte ich auch einen Koffer nehmen können, den man ganz bequem hinter sich herziehen kann. Aber ich bin ein Rucksackmädchen. Und die reisen nun mal nicht mit dem Koffer. Zudem hatte mein Rucksack schon einiges mitgemacht. Auf eines missglückten Wanderschaft wurde er 2010 eingeweiht, im gleichen Jahr transportierte er meine Habseligkeiten sicher in meine Berufsschule nach Frankfurt am Main, und auch auf dem Weg nach Montana ließ er mich nicht im Stich - warum also jetzt umsteigen? Das Ungeheuer wurde also gepackt.

Nachdem ich von meinem Mann sicher zum Busbahnhof begleitet wurde, die Reise mit dem Bus ging schneller und - zunächst - unkomplizierter, hievte ich das Ding in die Gepäckablage und schon ging es Richtung Dresden. Eine Fahrt, die so aufregend war, dass ich sie komplett verschlafen habe.
In der Hauptstadt der Sachsen angekommen brauchte ich zunächst eines: Kaffee. Ohne Kaffee konnte ich die drei Stunden bis zur Weiterfahrt nicht überstehen.
Um neun Uhr saß ich im Bus nach Wroclaw und auf dieser Fahrt tat ich kein Auge zu. Mit Karacho über die Autobahn - so schnell fuhr der Fahrer, dass wir schon 13:00 am Busbahnhof ankamen, statt der geplanten 13:30. Und dann ging es los: Finde den Anschluss!

Das gestaltete sich schwerer, als ich dachte. Am Bahnhof angekommen - 13:15 - fuhr der Zug nach Nysa gerade fort. Der nächste käme um 15:40! Oh weh. Also zurück zum Busbahnhof. Hier fuhr auch ein Zug zum Ziel, allerdings 15:10. Aber da war doch noch etwas, dass ich im Internet gelesen hatte? 14:10 ein Bus von einer Haltestelle namens Dawida. "Okay Google, bring mich zur Haltestelle Dawida" - das tat Google auch, allerdings zum Stadtverkehr. Und so fuhr der Kleinbus nach Nysa an mir vorbei.
Frustriert, dass mich Google nun hintergangen hatte, wollte ich zurück zum Busbahnhof. Doch dann stand er da, besagter Minibus nach Nysa. Und tatsächlich erwischte ich den letzten freien Platz! Ich war gerettet.
Und wie der Zufall es so wollte, lernte ich auf der Fahrt eine ganze nette Schülerin kennen, die kurz vor ihrem Abitur steht. Sie übersetzte ganz selbstverständlich mein englisch Gesagtes ins Polnische und wieder zurück. Was für eine Begegnung. Und wäre das nicht genug, führte auch ihr Weg nach Nysa, wo sie von ihrer Mutter abgeholt wurde. Und dann kam das Sahnehäubchen meines Tages: Sie fuhren mich doch tatsächlich noch bis zum Wohnheim. Ohne mich zu kennen! Das nennen ich Gastfreundschaft.



Ich erreichte meine Unterkunft also um 16:00 - zwölf Stunden, nachdem ich in Halle losgefahren war.

Zu meinem Wohnheim gibt es viel zu sagen, allerdings werde ich davon in einem gesonderten Artikel darüber schreiben. Für heute schließe ich mit den Worten eines Freundes: "Kopf runter und durch" - mein Motto für das Dom Studenta.